«

»

Kompatibilitäts- und Plausibilitätsanalyse

Nomotors_1

Im Allgemeinen soll die Untersuchung durch den technischen Sachverständigen in zwei Schritten durchgeführt werden. Zunächst wird die Kompatibilität untersucht. Nach einer vorgegebenen Systematik wird dabei analysiert, ob die Beschädigungsmuster der beteiligten Fahrzeuge zueinander passen. Ist dies der Fall, dann kann die Plausibilität der Unfallentwicklung nach den Schilderungen der Beteiligten und Zeugen geprüft werden. Bei diesem zweiten Schritt wird auf die Ergebnisse der Kompatibilitätsanalyse z. B. Anstoßkonfiguration, Bremszustand und Anstoßgeschwindigkeiten zurückgegriffen. Diese klare Begriffsabgrenzung wird leider häufig in Beweisanträgen nicht beachtet, was zu Missverständnissen führen kann: Soll untersucht werden, ob die Schäden an zwei Fahrzeugen zusammenpassen, handelt es sich um einen Auftrag zur Kompatibilität, soll geprüft werden, ob die Schäden bei dem geschilderten Ablauf nachzuvollziehen sind, handelt es sich um eine technische Plausibilitätsprüfung.

Häufig wird nicht nur von Sachverständigen, sondern auch von Rechtsanwälten verkannt, welche Bedeutung die Plausibilität eines Unfalls im Zivilverfahren hat. Die Hürde des §286 ZPO zur haftungsbegründenden Kausalität ist beim Betrugseinwand der Versicherung hoch. Eine sorgfältig durchgeführte und sauber begründete Plausibilitätsprüfung führt in Verbindung
mit anderen Indizien aus der Umfeldrecherche in den meisten Fällen zur Klageabweisung. In richtungsweisenden Urteilen hat der BGH ausgeführt, dass für die Überzeugungsbildung des Richters keine absolute Gewissheit erforderlich ist. Es genügt ein für das praktische Leben ausreichenden Grad von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH; NJW 70, 946 – 948).

Kompatibilität
Die allgemeine Vorgehensweise besteht aus vier aufeinanderfolgenden Arbeitsschritten:

  1. Morphologie
    Es werden dreidimensionale Abbildungen der Größe und Ausbildung der Deformationen angefertigt, hierzu werden die Fotografien ausgewertet und auf maßstäbliche Zeichnungen übertragen
  2. Anstoßkonfiguration
    Die Fotografien müssen nach eindeutigen Deformationsmustern abgesucht werden, um die Anstoßkonfiguration festzulegen. Diese Anstoßkonfiguration besteht aus Überdeckung,Anstoßwinkel und Höhenzuordnung. In den meisten Fällen stehen die Fahrzeuge für eine Untersuchung nicht mehr zur Verfügung und der Sachverständige muss mit den in den Akten enthaltenen Schadenfotografien auskommen. Das Ergebnis einer solchen Analyse kann immer nur so gut sein, wie das überlieferte Fotomaterial. Wie bereits oben ausgeführt, sind die Digitalfotos in Schadengutachten und Besichtigungsberichten der Versicherungen oft qualitativ sehr schlecht. Sehr viele inkompatible Schadenbilder lassen sich nicht nachweisen, weil die Fotos die Spurcharakteristik nicht hinreichend detailliert zeigen.
  3. Detaillierte Schadenanalyse
    Basierend auf der Anstoßkonfiguration, die in dem letzten Arbeitsschritt erarbeitet wurde, kann jedes Detail der Deformationsmuster genau untersucht werden. Für jeden Abdruck muss es ein Gegenstück in der gefundenen Anstoßposition geben. Die Deformationslinien der Kontaktzonen müssen übereinstimmen.
  4. Vergleich der Schadenintensitäten
    Insbesondere dann, wenn ein Intensitätsvergleich nicht als letzter Schritt durchgeführt wird, kann es zu einer Fehlbeurteilung kommen. Da die Steifigkeitsverteilung an den Karosseriestrukturen oftmals stark unterschiedlich ausfällt, wird häufig ohne genaue Analyse der Struktursteifigkeit der Kontaktzonen der Rückschluss gezogen, dass die Schäden nicht kompatibel seien. Oftmals hängt die Steifigkeit der Karosserieteile auch stark von der Krafteinwirkungsrichtung ab oder es kommt zu einem Kontakt einer sehr weichen Zone, (wie z. B. der Frontmaske oberhalb des Stoßfängers) mit einer sehr harten, wie z.B. einem Heckstoßfänger mit integriertem Stahlprofil. Diese Konstellation ist sogar typisch für eine normale Auffahrkollision mit einem abwehrgebremsten Fahrzeug, bei dem die Front stark eingetaucht ist.

Plausibilität

Obwohl die Verformungen an den beteiligten Fahrzeugen passen, kann ein Schadenereignis durchaus fingiert sein. Wie schon bei den Erläuterungen zur fiktiven Abrechnung ausgeführt, ist es durchaus möglich, auch Gewinne zu erzielen, wenn ein unbeschädigtes Fahrzeug verwendet wird. Bei der absichtlichen Beschädigung relativ neuer Fahrzeuge achten die Betrüger darauf, nur oberflächliche Beschädigungen zu produzieren. Es werden dann zwar neue Teile in der Kalkulation berücksichtigt, tatsächlich erfolgt die Reparatur jedoch durch Ausbeulen. Jeder Unfall ist – per Definition – das Ergebnis eines unfreiwilligen Ereignisses. Der Anspruchsteller muss deshalb beweisen, dass die ihm entstandenen Schäden unfreiwillig eingetreten sind. Wie die Erfahrung zeigt, ist es jedoch nicht so einfach, ein Unfallereignis mit absichtlichen Fahrmanövern zu simulieren.

Die in technischen Gutachten häufig beobachteten Fehler sind:

  1. Fehlen von Abwehrreaktionen
    Obwohl sich aus der Unfallentwicklung nachweisen lässt, dass genügend Zeit für Abwehrreaktionen vorhanden war, lassen sich keine Anzeichen für Bremsen oder Ausweichen innerhalb der Unfallentwicklung finden. Der einleuchtendste Indikator ist sicher das Fehlen von Bremsspuren an der Unfallstelle. Da heutzutage fast alle Kraftfahrzeuge mit ABS und viele mit ESP ausgerüstet sind, entfällt dieses Kriterium leider meist. Um auch bei fehlenden Spuren auf der Fahrbahn ein Bremsmanöver festzustellen, können die Anstoßhöhen an beiden Fahrzeugen verglichen werden. Bei einem bremsbedingten Eintauchen kommt es zu einer deutlichen Abweichung zu den statisch vorliegenden Höhen, die bei ungefähr 8 cm liegen.
  2. Ungewöhnliche Unfallentwicklungen
    Bei der Auswertung normaler Verkehrsunfälle stellt man fest, dass in den meisten Situationen beide Fahrzeuge bis zum Anstoß in Bewegung sind. Wird das Unfallereignis verabredet, dann kann dies nur bei gleichgerichtetem Verkehr, wie z. B. Auffahrkollision, Streifkollisionen und Anstoßvorgängen gegen Leitplanken erreicht werden. Je mehr die Anstoßrichtungen der Fahrzeuge sich der Senkrechten nähern, desto schwieriger wird es, die Fahrmanöver zu koordinieren. Es ist so gut wie unmöglich, eine Seitenkollision mit einem aus der untergeordneten Straße herauskommenden Fahrzeug realistisch nachzustellen. Ein wesentliches Merkmal von fingierten Unfällen nach diesem Muster ist, dass das bevorrechtigte Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt steht. Dies kann sehr leicht aus den Fahrzeugbewegungen nach der Kollision und den Deformationsmustern an den Fahrzeugen nachgewiesen werden.