Bei einer Serienkollision kollidiert in Fahrzeug mit einem anderen Fahrzeug, wodurch dieses gegen ein drittes geschoben wird. Dieser Unfalltypus ist bei Betrugsfällen beliebt, da mit einer einzigen Kollision drei oder mehr Fahrzeuge beschädigt werden. Häufig gilt es auch zu klären, ob das mittlere Fahrzeug selbstständig in das vordere gefahren ist oder ob es vom hinteren Fahrzeug geschoben wurde. Die häufigste Form der Serienkollision ist der sogenannte Ketten-Unfall, bei dem die einzelnen Anstöße immer Front auf Heck erfolgen. Bei diesen Kettenunfällen gibt es oft nur wenige verwertbare Spuren. Für Polizeibeamten steht häufig fest, dass der Auffahrende immer Schuld ist, weshalb sie die Unfallaufnahme nachlässig durchführen. Möglicherweise vorhandene Bremsspuren überlagern sich und sind dadurch nur schwer zuzuordnen. Die wichtigen Spuren liegen oft teilweise unter den Fahrzeugen in ihren Endstellungen und sind daher nur mit Aufwand zu sichern. Deshalb kann die Unfallrekonstruktion oft nur mittels der Schadenbilder durchgeführt werden, was eine vollständige Rekonstruktion unmöglich macht. Prinzipiell können daher nur Fragen zur Kollisionsreihenfolge und die Frage, ob einzelne Fahrzeuge durch ihren Hintermann auf den Vordermann aufgeschoben wurden. Zur Rekonstruktion des Unfallhergangs ist es wichtig, die Position des Schadens zu betrachten. Bei Pkw haben die Stoßfänger i.d.R. nahezu die gleiche Höhe. Bei starkem Abbremsen senkt sich die Front eines Fahrzeuges. Befindet sich der Schaden am Heck des Vordermanns unterhalb des Stoßfängers und an der Front des Hintermanns etwa auf Höhe der Scheinwerfer, spricht das für ein starkes Abbremsen und damit ein selbstständiges Auffahren. Befindet sich der Schaden bei beiden Fahrzeugen auf Höhe der Stoßfänger, deutet das auf einen ungebremsten Zusammenstoß hin, welcher i.d.R. durch das Aufschieben eines dritten Fahrzeugs verursacht wird. Diese Zuordnung gilt aber nicht immer, da beispielsweise das hintere Fahrzeug durch Kollision mit dem mittleren das Heck nach oben drücken kann. Dadurch senkt sich die Front und die Schäden am vorderen Fahrzeug deuten auf eine gebremste Kollision hin.
Bei Kettenunfällen wird zwischen vier unterschiedlichen Fällen unterschieden, die im Folgenden vorgestellt werden:
Fall I:
Die Wagen 02 und 03 stehen, der Wagen 01 fährt auf 02 auf und schiebt diesen in 03.
In diesem Fall ist die erste Kollision immer stärker, als die zweite. Haben 01 und 02 die gleiche Masse, bewegen sich beide nach dem plastischen Stoß (idealisierte Modellvorstellung) mit halber Aufprallgeschwindigkeit. Trennen sich die Fahrzeuge nicht voneinander, nehmen die Massen beider Fahrzeuge an der zweiten Kollision teil. In diesem Fall ist die erste Kollision um den Faktor 1,73 stärker, als die zweite.
Stehen 02 und 03 vor der Kollision weiter auseinander und 01 bremst stark, ist es möglich, dass nur das mittlere Fahrzeug gegen 03 prallt. Bei gleichen Massen der Fahrzeuge und einem plastischen Stoß wäre in diesem Fall der erste Stoß doppelt so stark, wie der zweite.
Wichtig für die Plausibilitätsuntersuchung ist, dass bei gleichen Steifigkeitswerten der Karosserien die Schadensintensität von hinten nach vorne abnimmt.
Fall II:
In diesem Fall ist der mittlere Wagen zum Zeitpunkt der ersten Kollision noch in Bewegung und wird dann in den vorderen geschoben. Dieses Szenario ist wesentlich schwerer zu rekonstruieren als das erste, da sich oft die Reihenfolge der Kollisionen nur anhand der Verformungsintensitäten nicht ermitteln lassen.
An den aus den Beschädigungen errechneten Differenzgeschwindigkeiten ändert sich nichts, wohl aber am Bremsweg: Der Vollbremsweg aus 10 km/h beträgt knapp 0,5 m, der Unterschied zwischen den Vollbremswegen aus 100 km/h bzw. 110 km/h hingegen beträgt mehr als 10 m. Wäre der Mittlere also noch gerade so hinter dem Vordermann zum Stehen gekommen, fehlen ihm nun 10 m, was einer Aufprallgeschwindigkeit von gut 45 km/h entspricht. Für den Sachverständigen ist es wichtig herauszufinden, welche Geschwindigkeit das mittlere Fahrzeug zum Zeitpunkt der ersten Kollision hatte. Diese Geschwindigkeit lässt sich anhand der Schadensintensitäten eingrenzen. Hilfreich sind auch Unfallspuren wie zum Beispiel Scheinwerferglassplitter oder Reifenspuren, anhand derer sich der Kollisionsort bestimmen lässt.
Fall III:
Zuerst fährt der Mittlere auf den Vorderen auf, ehe der Hintere auf den Mittleren auffährt, wobei zwischen beiden Kollisionen viel Zeit liegt.
Ist durch Augenzeugenberichte oder unstreitige Ablaufschilderungen bestätigt, dass ein längerer Zeitraum zwischen den beiden Kollisionen liegt, braucht eine mögliche Bremswegverkürzung nicht diskutiert zu werden. Der Fahrer des hinteren Fahrzeugs hat sich entweder nicht an das Sichtfahrgebot gehalten oder war grob unaufmerksam.
Fall IV:
Der Ablauf ist der gleiche, wie beim dritten Fall, bis auf dass zwischen beiden Kollisionen nur wenig Zeit liegt.
Bei solchen Kollisionen gilt es zu klären, ob sich durch die erste Kollision der Bremsweg des Hinteren so verkürzt, dass er die zweite Kollision nicht mehr vermeiden kann. Entscheidend bei einer solchen Überlegung ist der geforderte Sicherheitsabstand. Je größer dieser ist, desto heftiger muss die erste Kollision sein, um adäquate Ursache für die zweite Kollision zu sein. Mittels verschiedener Rechnungen lässt sich bestimmen, inwiefern die zweite Kollision vermeidbar gewesen wäre. Die Maxime „Sicherheitsabstand = halber Tachowert“ schützt im Stadtverkehr (50 km/h) wirksam vor Bremswegverkürzung.
Die wesentlichen Schlüsse zur Aufklärung der Kollisionsreihenfolge werden aus den an den Fahrzeugen verrichteten Verformungsarbeiten gezogen. Fragen zur Kollisionsabfolge lassen sich nur korrekt beantworten, wenn die relativen Aufprallgeschwindigkeiten bei den Einzelkollisionen eng eingegrenzt werden können. Welche Aufprallgeschwindigkeiten zu welchen Verformungen führen, wird durch Versuche ermittelt. Da aber i.d.R. keine Versuche mit den exakt gleichen Parametern vorliegen, gilt es auf möglichst vergleichbare Versuche zurückzugreifen. Die wichtigsten Kriterien sind dabei ähnliche Steifigkeitsverhältnisse, ein etwa identischer Überdeckungsgrad und ein ähnlichen Massenverhältnis.