Bisher wurden nur Diagramme gezeigt, in denen der Fahrvorgang eines einzigen Fahrzeuges betrachtet wurde. Im Regelfall wird aber in einem Weg-Zeit-Diagramm ein Kollisionsvorgang zwischen zwei oder mehr beteiligten Fahrzeugen untersucht. Die Verknüpfung der in den Kollisionspunkt hineinführenden Fahrvorgänge erfolgt dabei im Regelfall über das eigentliche Kollisionsereignis. Voraussetzung für einen Zusammenstoß ist nämlich, daß beide Fahrzeuge sich zum Kollisionszeitpunkt am gleichen Punkt befinden. Mit dieser notwendigen Bedingung werden die Annäherungsvorgänge der Fahrzeuge zueinander in Bezug gebracht. Da die Fahrzeuge jedoch eine gewisse Ausdehnung besitzen, muß sich die Fahrlinie im Diagramm auch auf einen bestimmten Punkt beziehen. Üblicherweise wird hierfür die Fahrzeugfront gewählt, in einzelnen Fällen wird aber auch auf die Kontaktzone am Fahrzeug oder auf das Fahrzeugheck abgestellt. Die folgende Abb.zeigt ein praktisches Beispiel für die Verknüpfung zweier mit konstanter Geschwindigkeit verlaufender Bewegungsvorgänge von Pkw an einer rechtwinkligen Kreuzung.
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Ein direkter Bezug zwischen der Fahrzeugposition und der Position im Diagramm läßt sich in diesen Fällen nur noch für den Pkw A darstellen, da nur seine Bewegungsrichtung parallel zum Diagramm ausgerichtet ist. Für Pkw B bezieht sich die im Diagramm eingetragene Skalierung auf die Hilfsskalierung in der Zeichnung, die zur Bewegungsrichtung des zweiten Fahrzeuges ausgerichtet ist. Gedanklich muß also die Hilfsskalierung des Pkw B in die Diagrammebene hineingeklappt werden. Aus dem Diagramm läßt sich beispielsweise ablesen, daß Pkw A eine Sekunde vor der Kollision von der Unfallstelle noch 13,9 m entfernt war, also mit 50 km/h gefahren ist. Für Pkw B läßt sich für den Zeitpunkt eine Sekunde vor der Kollision eine Entfernung von 6,1 m ablesen, dies entspricht einer Geschwindigkeit von 22 km/h. Wie in der Zeichnung dargestellt, lassen sich aus dem Diagramm fürverschiedene Zeitpunkte der Annäherungsvorgänge nunmehr Zuordnungen ableiten. In der Zeichnung sind insgesamt 3 Zuordnungen eingezeichnet, die bei der Kollision, eine Sekunde davor und zwei Sekunden davor vorgelegen haben. Mit etwas Erfahrung kann man also aus dem Diagramm tatsächlich den Fahrplan des Unfalls sofort ablesen. Praktische Beispiele für die hierzu erforderlichen Arbeitsschritte werden bei den einzelnen Unfallarten noch vorgestellt.
Weiterhin können in einem Weg-Zeit-Diagramm aber auch noch Sichtuntersuchungen für die Annäherung von Fahrzeugen bei ortsfesten oder auch bei bewegten Hindernissen durchgeführt werden. Die prinzipielle Vorgehensweise dabei ist in der Abb. unten dargestellt. Hier wird ein Annäherungsvorgang eines Pkw an eine Kreuzung gezeigt, wobei durch ein Haus der Einblick in den rechts gelegenen Einmündungstrichter eingeschränkt ist. Bei der Annäherung des Pkw-Fahrers an diesen Trichter verändern sich laufend die Sichtmöglichkeiten. Je weiter er von der Einmündung entfernt ist, desto geringer ist die Sichtweite, je näher er an die Einmündung kommt, umso tiefer kann er die untergeordnete Fahrbahn einblicken. In der folgenden Zeichnung sind die jeweiligen Sichttiefen für t1 bis t3 geometrisch exakt konstruiert.
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Dabei wurde auch berücksichtigt, daß das Fahrzeug eine räumliche Ausdehnung hat, und die Beobachterposition des Fahrzeugführers wurde mit einbezogen. Aus den geometrischen Zusammenhängen ergeben sich hier für die Sichttiefen s1 bis s3. Wann die drei Positionen des Fahrzeuges t1 bis t3 durchfahren werden und somit auch die jeweiligen Sichttiefen s1 bis s3 vorliegen, ist geschwindigkeitsabhängig. Liegt der Annäherungsvorgang des Pkw fest, läßt sich aus dem Weg-Zeit-Diagramm bestimmen, zu welchem Zeitpunkt vor dem Unfall die drei Positionen t1 bis t3 erreicht werden. Die jeweiligen Sichttiefen zu diesem Zeitpunkt lassen sich dann ebenfalls im Weg-Zeit-Diagramm für den Annäherungsvorgang des zunächst verdeckten Fahrzeugs oder Fußgänger eintragen und durch eine mehr oder weniger stark gekrümmte Sichtbegrenzungslinie oder Sichtschattenlinie verbinden. In diesem Beispiel ist eine Kollision mit einem die Fahrbahn von rechts nach links kreuzenden Fahrradfahrer untersucht, der die Fahrbahn mit erheblicher Geschwindigkeit ohne anzuhalten überquerte. Seine Geschwindigkeit lag bei 12 km/h. Die entsprechende Fahrlinie ist in der rechten Hälfte des Diagramms eingetragen. Es läßt sich nun zeigen, daß der Radfahrer mit seiner Fahrzeugfront erstmals in der Position „W“ sichtbar wurde, die rund 1,5 s vor der Kollision erreicht war. Eine weitere Zeitspanne von 0,2 s vergeht, bevor das Fahrrad bei dieser Geschwindigkeit vollständig sichtbar ist. Außerdem benötigt der Autofahrer eine Blickzuwendung von etwa 0,5 s, um den Radfahrer zu sehen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann bei dieser Geschwindigkeit des Fahrrades eine wirkungsvolle Abbremsung vor der Kollision nicht mehr erfolgen. Aus der Sichtschattenkonstruktion ergibt sich also, daß der Unfall für den Pkw-Fahrer unvermeidbar gewesen ist.