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Reaktionsaufforderung

Sicheres Erkennen der objektiven Notwendigkeit einer Abwehrhandlung auf einen Reaktionsanlass. Innerhalb der Unfallentwicklung stellt der Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung eine sehr wichtige Größe dar, da die Vermeidbarkeitsbetachtungen aufgrund juristischer Vorgaben auf den Zeitpunkt der ersten Erkennbarkeit der drohenden Gefahr des Zusammenstoßes abzustellen sind. Alle Vermeidbarkeitshypothesen dürfen erst ab diesem Zeitpunkt aufgestellt werden. In der Praxis gelingt es häufig nur mit großen Toleranzen, diesen Zeitpunkt des Gefahreneintritts zu bestimmen.

Als Beispiel sei der typische Fußgängerunfall angeführt, bei dem der Fußgänger bis zum Erreichen des Kollisionsortes 5 m Gehstrecke auf der Fahrbahn zurücklegte. Sofern es keine Sichtbehinderungen gibt, geht man üblicherweise davon aus, dass die drohende Gefahr für den Pkw-Fahrer erkennbar wird, wenn der Fußgänger ca. 1 m Gehstrecke auf der Fahrbahn zurückgelegt hat.

Ab dem Punkt, an dem dieses Gefahrensignal für den Pkw-Fahrer gesetzt wird, legt der Fußgänger also noch 4 m Gehstrecke bis zur Kollisionsstelle zurück. Unterstellt man, dass der Fußgänger zügig geht, benötigt er für 4 m Gehstrecke etwa 2 s. Wird die gleiche Strecke laufend zurückgelegt, kann sie bereits in der halben Zeit bewältigt werden. D.h., im erstgenannten Fall stehen dem Autofahrer ab Gefahreneintritt 2 s Abwehrzeit zur Verfügung, im zweitgenannten Fall nur 1 s. Liegen keine Zeugenaussagen und keine objektiv verwertbaren Spuren zur Festlegung der Gehgeschwindigkeit vor, muss der gesamte Bereich für die Vermeidbarkeitsbetrachtung betrachtet werden. Für dieses Beispiel lässt sich also nur sagen, dass der Fußgänger zwischen einer und zwei Sekunden vor der Kollision als Gefahrenquelle erkennbar ist.

Es handelt sich dabei um die sogenannte objektive Reaktionsaufforderung, die in diesem Zeitfenster von einer bis zwei Sekunden an den Autofahrer erging. Unterstellen wir, dass der Pkw beim Unfall eine Bremsspur hinterließ, so liegt deren Beginn am Ort fest, an dem die Abwehrhandlung des Pkw-Fahrers zur ersten nachweislichen Auswirkung führte. Ist die Fahrgeschwindigkeit des Pkw aus der Rekonstruktion bekannt, liegt über diesen Ort ebenso der Zeitpunkt fest, zu dem die Spurzeichnung einsetzte. Bei Berücksichtigung der im vorigen Abschnitt angegebenen Reaktionszeit ergibt sich nun, zu welchem Zeitpunkt und aus welcher Entfernung zum Kollisionsort der Autofahrer tatsächlich reagiert hat. Liegt dieser tatsächliche Reaktionspunkt, der aus der tatsächlich erfolgten Abwehrreaktion des Pkw-Fahrers ermittelt wurde, bei zwei Sekunden vor der Kollision, so deckt er sich für den Fall, dass der Fußgänger zügig ging, mit dem Zeitpunkt des Gefahreneintritts. Die Reaktion erfolgte damit nachweislich unmittelbar auf den Gefahreneintritt. Umgekehrt lässt sich in diesem Fall ausschließen, dass der Fußgänger lief. Dann nämlich hätte er sich 2 s vor dem Unfall noch gar nicht auf der Fahrbahn befunden und der Pkw-Fahrer sozusagen grundlos gebremst. Reagierte der Pkw-Fahrer tatsächlich jedoch erst etwa eine Sekunde vor der Kollision, könnte eine rechtzeitige Reaktion nur noch für die Bewegungsgeschwindigkeit „laufen“ bejaht werden. Bei langsameren Bewegungsgeschwindigkeiten wäre eine verspätete Reaktion zu diskutieren. Zugunsten des Fußgängers muss eine Vermeidbarkeitsbetrachtung dann an diejenige Position angeknüpft werden, in der sich der Pkw rund 1 Sekunde vor der tatsächlichen Reaktion befunden hat. In dem Gutachten können für die juristische Auseinandersetzung beide Versionen alternativ angeboten wer den. Häufig ermittelt man bei derartigen Untersuchungen, dass der Unfall auch bei Unterstellung der langsamen Bewegungsgeschwindigkeit und einer frühzeitigeren Reaktion nicht vermeidbar war.