Befragung der Beteiligten
Der Befragung der Beteiligten kommt bei Betrugsverdacht ebenfalls eine sehr große Bedeutung zu. Sie sollte zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erfolgen, da hier meist noch Kooperationsbereitschaft besteht. Dabei sind sowohl die äußeren Umstände, wie auch Details zum eigentlichen Unfallablauf durch präzise Fragestellungen zu ermitteln, wobei die Auswahl der Fragen natürlich stark vom Unfalltyp und -hergang abhängt.
Für eine möglicherweise verabredete Vorfahrtsverletzung mit zwei Pkw wären z.B. folgende Fragen für ein unfallanalytisches Gutachten von Bedeutung:
Vorfahrtsberechtigter Fahrzeugführer
- Befanden sich bereits vor dem Unfall Schäden wie z.B. Beulen, Kratzer usw. an Ihrem Fahrzeug?
- Mit welcher Geschwindigkeit fuhren Sie etwa bei der Annäherung an die Unfallstelle?
- Wodurch wurden Sie auf die drohende Gefahr des Zusammenstoßes mit dem vorfahrtsverletzenden Fahrzeug aufmerksam?
- Haben Sie das vorfahrtsverletzende Fahrzeug zuvor bereits beobachtet?
- Haben Sie vor der Kollision noch eine Notbremsung oder einen Ausweichvorgang einleiten können?
- Wie standen die beiden Fahrzeuge nach dem Zusammenstoß?
Vorfahrtsverletzender Fahrzeugführer
- Befanden sich an Ihrem Fahrzeug bereits vor dem Unfall Beschädigungen?
- Haben Sie das bevorrechtigte Fahrzeug vor der Kollision wahrgenommen?
- Haben Sie im Einmündungsbereich zunächst angehalten und sind dann wieder angefahren, oder sind Sie, ohne anzuhalten, in die übergeordnete Fahrbahn eingebogen?
- Haben Sie ihr Fahrzeug noch vor der Kollision abbremsen können?
- Wie standen die beiden Fahrzeuge nach dem Zusammenstoß?
Die oben genannten Fragen beschränken sich auf den Bereich der Unfallrekonstruktion. Zusätzlich sind natürlich noch eine Reihe von situativen Fragen zu stellen, die allerdings nicht einer unfallanalytischen Auswertung, sondern einer juristischen zu unterziehen sind. So können beispielsweise der Fahrzweck, das Verhalten der Beteiligten nach dem Unfallereignis oder eine mögliche Bekanntschaft abgefragt werden. Hieraus lassen sich dann oftmals Indizien für ein verabredetes Unfallereignis ziehen. Die Auswertung dieser Fragen gehört aber nicht in ein unfallanalytisches Gutachten.
Bei einem nicht tatsächlich erlebten Geschehen (Papierunfall) ist in den Morgen- und Abendstunden auch die Frage nach den Beleuchtungsverhältnissen von Interesse. So kann beispielsweise durch die Frage nach der Helligkeit (Dunkel, Hell, Dämmerung) unter Umständen eine Diskrepanz für den angegebenen Unfallzeitpunkt aufgezeigt werden. Die Dämmerungshelligkeit kann für jeden beliebigen Ort und Zeitpunkt sehr genau bestimmt werden.
Bei der Befragung der Beteiligten sollten in jedem Fall Unfallskizzen angefordert werden. Bei einem persönlichen Gespräch ist es sinnvoll, zunächst etwa maßstäbliche Skizzen der Unfallörtlichkeit vorzubereiten und maßstäbliche Fahrzeugmodelle vorzulegen. Erfahrungsgemäß lassen sich dabei wesentlich präzisere Angaben zu der Situation vor, während und nach der Kollision erlangen.
Größte Vorsicht ist allerdings bei der Auswertung derartiger Befragungen geboten. Wie die tägliche Praxis mit Zeugenbefragungen nach Verkehrsunfällen nämlich zeigt, ist die Beobachtungsfähigkeit von Zeugen und insbesondere von Unfallbeteiligten nur sehr gering. Beobachtungslücken werden von Zeugen häufig dadurch geschlossen, dass im Nachhinein aus der Endsituation Schlussfolgerungen über den Hergang gezogen werden. Dies ist dem Zeugen dann nach längeren Zeiträumen überhaupt nicht mehr bewusst. Dabei verschwimmen tatsächliche Wahrnehmungen mit Schlussfolgerungen zu einem Gesamtbild, und der Beobachter ist überzeugt, das geschilderte Geschehen tatsächlich erlebt zu haben. Besonders eindrucksvoll zeigen sich diese Phänomene bei Verkehrsunfällen, die von vielen hautnah beobachtet wurden. Die nachträgliche, getrennte Befragung führt dann häufig zu grundverschiedenen Schilderungen des tatsächlichen Geschehens.
Bei Berücksichtigung dieser einschränkenden Ausführungen ist es aber durchaus möglich, die Schilderungen Beteiligter und Zeugen entsprechend zu sichten. Behauptet beispielsweise ein bevorrechtigter Fahrzeugführer, er sei mit der zulässigen Geschwindigkeit von 70 km/h in den Kreuzungsbereich hineingefahren, dann mag die Geschwindigkeit durchaus auch bei 90 oder 50 km/h gelegen haben. Ergibt sich aber aus der Unfallrekonstruktion, dass er nur mit 10 bis 20 km/h gefahren sein kann oder gar gestanden hat, dann ergeben sich erhebliche Bedenken, dass es sich um ein zufälliges Unfallereignis gehandelt haben kann, wenn dem Bevorrechtigten keine längere Abwehrzeit zur Verminderung der Geschwindigkeit zur Verfügung gestanden hat.
Eine besonders hohe Bedeutung kommt der Befragung der Beteiligten bei Schadensabläufen aus der «Allgemeinen Haftpflicht (AH-Schäden)» zu. Dabei wird nämlich eine Aufnahme der Unfallszene kaum durchgeführt, und außer dem Schadensbild stehen im Nachhinein nur die Aussagen der Beteiligten zur Überprüfung zur Verfügung. Als Beispiel hierzu sei die Problematik der umstürzenden Motorräder genannt. Da hierbei Sturzvorgänge nur unter ganz besonderen Bedingungen eingeleitet werden können, ist der Abstellort, die Abstellart des Motorrades und der genaue Bewegungsablauf, der zum Sturz führte, sehr wichtig. Diese Angaben sollten durch präzise Fragestellungen möglichst unmittelbar nach Eingang der Schadensmeldung bereits vom Versicherer abgefragt werden.